Seit vielen Jahren laufe ich mit meinen Boxern den Römerkanal entlang. Hier ist meine große Zusammenfassung dieses Meisterwerks:
Hintergrund und Planung
Die römische Eifelwasserleitung – oft Römerkanal genannt – wurde gebaut, um die rasant wachsende Stadt Colonia Claudia Ara Agrippinensium (das antike Köln) mit ausreichend Frischwasser zu versorgen.
Bereits um 30 n. Chr. existierte ein älteres Leitungssystem aus dem Kölner Umland (den Vorgebirgsquellen bei Hürth), doch dessen Menge und Qualität reichten bald nicht mehr aus. Daher planten römische Ingenieure in den späten 70er Jahren n. Chr. eine neue Fernwasserleitung, die entferntere Quellgebiete in der Eifel anzapfen sollte. Die Wahl fiel auf kalkreiche Quellen in der Nordeifel, deren Wasser als besonders hochwertig galt.
Ohne schriftliche Überlieferungen ist durch archäologische Befunde klar, dass nur der römische Staat bzw. das Militär ein Projekt dieser Größenordnung stemmen konnte. Vermutlich befehligte der damalige Statthalter Sextus Iulius Frontinus – später berühmter Wasserkurator Roms – den Bau, denn er verfügte über die nötigen Ressourcen und Fachleute. Noch vor Baubeginn erkundeten Fachleute die Eifel nach geeigneten Quellen. So empfahl der Architekt Vitruv als Kriterium für gutes Trinkwasser, die Gesundheit der Anwohner zu beobachten: „Sind ihre Körper kräftig und die Augen nicht entzündet, dann werden die Quellen vortrefflich sein.“.
Nach Auswahl der Quellen musste eine Trasse gefunden werden, die das Wasser über ~95 km Länge allein durch Gefälle bis Köln leiten konnte. Diese Planungsphase umfasste detaillierte Geländeuntersuchungen und Vermessungen, bevor der eigentliche Bau in Angriff genommen wurde.
Vermessung und Trassenführung
Ein zentrales Planungsziel war es, ein gleichmäßiges Gefälle vom Quellgebiet bis Köln einzuhalten, da die Römer keine Pumpen besaßen und das Wasser allein durch Schwerkraft fließen musste. Die Ingenieure wählten einen Trassenverlauf, der geschickt den topografischen Gegebenheiten folgte. So begann die Leitung am sogenannten Grünen Pütz bei Nettersheim und führte als reine Gefälleleitung entlang von Berghängen, um größere Senken zu meiden. Bei Kall gelang es, die Wasserscheide zwischen Maas und Rhein ohne Tunnel oder Druckrohr (Syphon) zu überwinden – offenbar die einzige Stelle, an der dies mit konstantem Gefälle möglich war. Anschließend zog die Trasse am Nordhang der Eifel entlang und näherte sich Köln mit nur wenigen Talbrücken bei der Überquerung von Erft und Swist. Um Frostschäden zu vermeiden, lag der Kanal fast durchgehend unterirdisch (oft im Hang) mit typischer Überdeckung von ca. 1 m Erdreich. Dieses leicht erhöhte den Weg, hielt das Wasser kühl und schützte vor dem Gefrieren.
Die Römer bewiesen eine erstaunliche Präzision in der Vermessungstechnik: Mit speziellen Messgeräten wie dem Chorobates – einem nivelliergerät mit Wasserwaage-Funktion – konnten sie Gefälle von nur 1 ‰ (1 m Höhenabfall pro km) exakt einhalten. Für die Absteckung gerade Linien und rechter Winkel kam vermutlich die Groma (Sichtgerät mit Lotfadenkreuz) zum Einsatz, während Messlatten Entfernungen maßen. Die gesamte Trasse wurde vorab durch Geometer markiert, sodass der eigentliche Bau später unabhängig von der Vermessung erfolgen konnte. Eine Herausforderung war das Zusammenführen der in Bauabschnitten gleichzeitig errichteten Teilstücke: An den Grenzen der einzelnen Baulose musste die Höhe exakt passen. Die Bauleiter legten sogenannte Zwangspunkte fest – verbindliche Höhenmarken am Abschnittsende, die nicht unterschritten werden durften. So arbeiteten sich die Bautrupps vom Quellgebiet hangabwärts vor und trafen im Gelände präzise aufeinander. Hätten sie zu tief gegraben, wäre ein Gefälleversatz entstanden, der den Fluss gestört hätte. Kam ein Teilstück wider Erwarten etwas zu hoch an, ließe sich das durch ein kleines Tosbecken (Absturzbecken) ausgleichen, in dem überschüssige Fallhöhe gebrochen wurde. Insgesamt gingen die römischen Vermesser äußerst behutsam mit dem minimal verfügbaren Gefälle um, um Fehler zu vermeiden.
Konstruktion und Baumaterialien
Technisch stellt die Eifelwasserleitung ein Meisterwerk antiker Ingenieurskunst dar. Der Kanal wurde um 80 n. Chr. aus einer Kombination von Natursteinmauerwerk und opus caementitium (römischem Gussbeton) gebaut. Zunächst hob man einen Graben aus und legte am Grund eine Packlage aus senkrecht gestellten Steinen als Fundament. Darauf entstand eine U-förmige Rinne: je nach Abschnitt wurde diese entweder aus Gussmörtel in einer Schalung gegossen oder aus sorgfältig gesetzten Steinquadern gemauert. Die Innenbreite der Kanalsohle betrug etwa 70 cm, die Höhe der Seitenwände rund 1 m, sodass ein Wartungspersonal den Kanal kriechend oder gebückt begehen konnte. Die Seitenwände waren ca. 30–35 cm stark und bestanden aus Bruchstein und Beton, die teils in situ ausgehärtet wurden. Noch heute erkennt man im erhaltenen Beton mancher Abschnitte die Abdrücke der hölzernen Schalungsbretter, an denen die Römer den Beton formten.
Ein ausgebautes Originalsegment der Eifelwasserleitung (hier ausgestellt in Hürth bei Bonn) zeigt deutlich den U-förmigen Kanalquerschnitt mit seinen Beton- und Geröllschichten sowie den erhaltenen rötlichen Innenputz (opus signinum). Oben ist das gewölbte Steindach zu sehen, das den Kanal abdeckte und vor Verunreinigungen schützte. Dieses Beispiel veranschaulicht die robuste Bauweise, die zu der hervorragenden Erhaltung der Leitung beigetragen hat. Um den Kanal zu schließen, mauerten die Römer auf die Ränder der U-Rinne ein Steingewölbe als Abdeckung. Dieses Tonnengewölbe bestand aus flachen Steinen und reichlich Mörtel und lag ohne starre Verbindung auf der Rinne auf. Die bewusste Trennung zwischen Kanal und Gewölbe diente als Sollbruchstelle: Sollte das Gewölbe durch Erdbewegungen oder Wurzeldruck reißen, blieb die darunterliegende Rinne intakt und das kostbare Wasser floss nicht unkontrolliert ins Erdreich. Von außen wurde der gesamte Kanal mit einer schützenden Putzschicht versehen, um das Eindringen von Oberflächenwasser zu verhindern. In feuchten Bodensektoren legte man zusätzlich Drainageleitungen oder Kiesschichten neben den Kanal, um Grundwasser abzuleiten. Kleine Bäche, die die Trasse kreuzten, führte man mittels gemauerter Durchlässe unter dem Aquädukt hindurch – ein solcher Wasserdurchlass ist nahe dem Grünen Pütz noch vollständig erhalten.
Besonders wichtig für die Dichtigkeit war der Innenputz aus opus signinum, einem wasserdichten Spezialmörtel aus Kalk und zerkleinerten Ziegelbruchstücken. Dieser rötliche Putz, der auch unter Wasser erhärtet, wurde sorgfältig in die Kanalinnenflächen eingebracht und machte die Leitung nahezu wasserdicht. Eine raffinierte Innovation war der Einsatz von Holzasche bei der Inbetriebnahme: Feine Risse im Putz wurden abgedichtet, indem man bei der ersten Befüllung Asche ins Wasser streute. Die schwebenden Aschepartikel setzten sich in Haarrissen fest und dichteten diese zusätzlich ab. Dieses Verfahren zeigt, wie umsichtig die Römer mögliche Undichtigkeiten bereits bei der Fertigstellung berücksichtigten.
Für den Bau nutzten die Arbeiter vielfältige Werkzeuge und Hilfsmittel. Zum Aushub des Grabens dienten Spitzhacken, Spaten und Körbe für den Erdabtransport – pro laufendem Meter Leitung fielen etwa 3–4 m³ Aushub an. Steine wurden mit Hämmern und Meißeln behauen, und hölzerne Kräne mit Flaschenzügen kamen vermutlich zum Einsatz, um schwere Quader oder Bauteile (etwa bei Brückenbauwerken) in Position zu heben. Das Gewölbe mauerte man mithilfe von Lehrgerüsten und Schalungen aus Holz. Zur Vermessung während der Bauarbeiten verwendete man Messlatten, Lot und Pegel, um die Höhenlage ständig zu kontrollieren. Zahlreiche Revisionsschächte wurden in regelmäßigen Abständen vertikal nach oben geführt, um Zugang für Inspektion und Reinigung zu bieten. Solche Schächte – meist mit Deckelsteinen verschlossen – ermöglichten es den Wartungsmannschaften, hinabzusteigen und den Kanal von innen zu begehen. Ebenso legte man an einigen Stellen Absetzbecken an, in denen sich mitgeführter Sand und Schlamm ablagern konnte. Diese technischen Einrichtungen zeugen von der Weitsicht der römischen Planer, die nicht nur den Bau, sondern auch den langfristigen Betrieb im Auge hatten.
Organisation und Logistik der Bauarbeiten
Angesichts der Länge von über 95 Kilometern konnte der Bau nicht als Einzelabschnitt ausgeführt werden – die Römer teilten das Mammutprojekt in viele Baulose (Baustellenabschnitte) auf. Archäologen konnten durch Unterschiede im Gefälle und Mauerwerk nachweisen, dass jeweils etwa 4,44 km pro Abschnitt gebaut wurden – das entspricht ziemlich genau 15.000 römischen Fuß. Schätzungsweise 20 Bautrupps arbeiteten somit gleichzeitig auf verschiedenen Teilstrecken, um die Fertigstellung zu beschleunigen. Dieses Vorgehen erforderte eine zentrale Planung und Koordination: Noch bevor die erste Schaufel Erde bewegt wurde, musste die gesamte Strecke vermessen und in Abschnitte mit definiertem Start- und Endpunkt aufgeteilt sein. Vermutlich erhielt jede Baueinheit einen Abschnittsplan mit vorgegebenem Höhenverlauf, sodass alle Teams synchron und präzise arbeiten konnten.
Die logistische Leistung war enorm. Man schätzt den Materialaufwand pro Meter Leitung auf etwa 1,5 m³ Mauerwerk/Beton und 2,2 m² Putz. – insgesamt also ca. 150.000 m³ Steine und Mörtelmasse sowie rund 210.000 m² Putzfläche für das ganze Bauwerk. Dieses Material musste großteils vor Ort gewonnen oder herangeschafft werden. Glücklicherweise bestand die Eifel aus kalkreichem Gestein (Sötenicher Kalkmulde), was in zweierlei Hinsicht half: Zum einen konnten die Römer in lokalen Steinbrüchen und Gräben direkt geeigneten Bruchstein (z. B. Grauwacke in Vussem) gewinnen. Zum anderen lieferte der Kalkstein durch Brennen den nötigen Brandkalk für den Mörtel. Nahe der Baustelle wurden also Kalköfen betrieben, wofür wiederum große Mengen Brennholz bereitgestellt werden mussten. Die Versorgung der Baustellen mit Wasser (für Mörtel und Beton) wurde durch die Nähe zu Bächen und Quellen erleichtert, doch musste auch dieses oft mit Kübeln oder einfachen Hebewerkzeugen herangeschafft werden.
Für den gesamten Bau rechnet man mit etwa 475.000 Tagewerken (Arbeitstagen eines Arbeiters). Bei rund 180 möglichen Bautagen pro Jahr (ausgenommen Winter und Pausen) entspricht das einem Team von 2500 Arbeitern über ca. 16 Monate. In der Praxis dürfte die Bauzeit aber deutlich länger gewesen sein, da diese Rechnung weder die umfangreichen Vorarbeiten der Vermessung noch Verzögerungen durch Wetter, Materialbeschaffung oder Pausen berücksichtigt. Realistisch erscheint eine Bauzeit von mehreren Jahren – vermutlich wurde die Leitung um das Jahr 80 n. Chr. herum fertiggestellt und in Betrieb genommen. Hinweise auf Arbeiten in der Frühen Kaiserzeit deuten zudem darauf hin, dass einige Zuleitungen oder Verbesserungen noch bis ins 2. Jahrhundert erfolgten, etwa um zusätzliche Quellen wie den Klausbrunnen bei Mechernich einzubinden (eine Verlängerung der Leitung).
Nach Abschluss der Bautätigkeiten wurde die offene Baugrube über dem Kanal wieder verfüllt und eingeebnet. Entlang der gesamten Trasse entstand ein Begleitweg, der für die Instandhaltung genutzt wurde. Dieser Weg markierte zugleich einen Schutzstreifen, innerhalb dessen landwirtschaftliche Tätigkeiten verboten waren, um Beschädigungen der Leitung zu vermeiden. Solche Vorschriften sind auch anderorts belegt – so fand man am Lyoner Aquädukt (Gier-Leitung) eine römische Verbotstafel Kaiser Hadrians, die das Pflügen und Pflanzen in Aquäduktnähe untersagte. Die Infrastruktur des Römerkanals war also nicht nur ein Bau-, sondern auch ein Verwaltungsprojekt: Transportwege mussten erhalten, Bauplätze koordiniert und Schutzmaßnahmen durchgesetzt werden. Dennoch scheinen die Römer die gigantische logistische Aufgabe mit bewundernswerter Effektivität gemeistert zu haben.
Arbeitskräfte: Herkunft und soziales Umfeld
Die Errichtung der Eifelwasserleitung verlangte nach einer großen Anzahl qualifizierter und unqualifizierter Arbeitskräfte. Nach archäologischer Evidenz wurde der Bau maßgeblich vom römischen Heer durchgeführt. Die römischen Legionen an der Rheingrenze (etwa die in Novaesium, Bonna oder Vetera stationierten Einheiten) stellten Ingenieure, Offiziere und wahrscheinlich auch einen Großteil der Handwerker und Soldaten, die auf der Baustelle tätig waren. Legionäre waren im Befestigungs- und Straßenbau geschult und konnten diese Kenntnisse beim Aquäduktbau anwenden. Spezielle Militäringenieure (architecti) und Vermessungsexperten (mensores) planten und überwachten die Arbeiten. Die einfacheren Tätigkeiten – Graben, Steineschleppen, Mörtelmischen – übernahmen vermutlich Soldaten niederen Ranges oder zugeteilte Arbeitskolonnen. Möglicherweise wurden zusätzlich ortsansässige Arbeiter oder sogar Sklaven herangezogen, um die enorme Arbeitslast zu bewältigen, doch fehlen hierzu schriftliche Zeugnisse. Da aber die Römerkanal-Trasse durch dünn besiedeltes Gebiet verlief, dürfte man primär auf die organisierte Arbeitskraft des Heeres zurückgegriffen haben.
Die Herkunft der beteiligten Männer war vielfältig: In den römischen Legionen dienten um 80 n. Chr. viele Rekruten aus den Provinzen (Gallier, Germanen, Iberer etc.), aber sie standen alle unter römischem Kommando und erhielten einheitliche Ausrüstung und Verpflegung. Einige hochqualifizierte Spezialisten könnten aus dem Umfeld großer Städte wie Rom abgestellt worden sein – etwa erfahrene Aquäduktbauer, die schon an anderen Projekten mitgewirkt hatten. Ausbildung erhielten die meisten direkt im Dienst: Die Legion schulte ihre Leute in Vermessung, Handwerkstechniken und im Umgang mit Werkzeugen. Frontinus erwähnt in seinem Werk über die römischen Wasserleitungen die Notwendigkeit größter Sorgfalt und die Einhaltung von Regeln – was impliziert, dass diese Standards den Ingenieuren vertraut waren. Somit war ein gewisses ingenieurtechnisches Know-how vorhanden, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde.
In sozialer Hinsicht galten Legionäre als relativ privilegiert: Sie besaßen den Status römischer Bürger (falls in einer Legion) und konnten nach ehrenhafter Dienstzeit mit Land oder Geld abgefunden werden. Ihre Arbeit an einem Prestigeprojekt wie der Kölner Wasserleitung zeugte vom Selbstverständnis des Imperiums, auch in den Provinzen anspruchsvolle Infrastruktur zu schaffen. Die Führungskräfte – etwa ein Baukommandant für den Römerkanal – gehörten wahrscheinlich zur römischen Elite (etwa der Statthalter Frontinus selbst oder ein hoher Offizier). Im Gegensatz dazu standen mögliche Hilfsarbeiter oder Sklaven am unteren Ende der sozialen Skala; über sie ist wenig bekannt. Insgesamt jedoch ist die Eifelwasserleitung als Werk staatlicher Organisation zu sehen, weniger eines privaten Unternehmers. Die Disziplin und Hierarchie des Militärs ermöglichten es, tausende Arbeiter koordiniert einzusetzen und technische Probleme effizient zu lösen – eine Aufgabe, die ohne diese straffe Organisation kaum vorstellbar gewesen wäre.
Besonderheiten und Herausforderungen
Der Bau der Eifelwasserleitung war mit zahlreichen Herausforderungen verbunden, die die römischen Ingenieure mit bemerkenswerten Lösungen meisterten. Eine besondere Schwierigkeit stellte die lange Distanz und das geringe Gefälle dar: Über fast 100 km durfte das Wasser niemals stagnieren oder zu schnell fließen. Die Römer gingen so behutsam mit dem verfügbaren Gefälle um, dass Teile der Leitung ein Gefälle von nur 0,1 % (1 ‰) aufweisen – eine Präzision, die bis in die Neuzeit kaum wieder erreicht wurde. Diese Genauigkeit in der Vermessung nötigt Fachleuten bis heute Respekt ab. Es zeigt das Verständnis der antiken Techniker für Physik und Hydraulik, lange bevor es moderne Messgeräte gab.
Auch die Topografie der Eifel stellte hohe Anforderungen. Statt den direkten Weg nach Köln zu nehmen, musste die Leitung in Kauf nehmen, Umwege zu machen, um auf Bergrücken zu bleiben und Täler zu umgehen. So wurde z. B. das breite Swistbachtal nicht durch einen aufwändigen Syphon oder eine gigantische Brücke überwunden, sondern man führte die Trasse weit ausholend um das Tal herum. Dennoch waren einige Aquäduktbrücken unumgänglich, etwa bei der Swist selbst und der Erft. Die längste Brücke spannte sich über 1400 m Länge mit ca. 295 Bögen (je ~3,5 m weit) und bis zu 10 m Höhe über das Swisttal. Diese imponierende Konstruktion – vergleichbar mit kleineren römischen Viadukten – diente nur dazu, das Gefälle kontinuierlich zu halten, und war komplett in Stein gemauert. Eine weitere Brücke von ~500 m Länge überquerte die Erft bei Euskirchen. Zwar reichten diese Hochbauten nicht an die monumentale Pont du Gard in Südfrankreich heran, doch stellten sie in der Provinz Germania inferior erhebliche technische Leistungen dar. Ihre Fundamente mussten im weichen Talboden sicher gründen und die Pfeiler regelmäßige Abstände und Höhen einhalten. Bei der Aquäduktbrücke von Vussem – 80 m lang und 10 m hoch – konnten Archäologen zehn Pfeilerfundamente nachweisen. Die Pfeiler ruhten auf bis zu 2 m tiefen Basen aus vermörtelter Grauwacke (dem lokalen Gestein) und trugen 13 Halbkreis-Bögen aus Hausteinquadern. Durch solche Brückenbauwerke bewältigten die Römer Geländeübergänge, ohne vom Prinzip der Gefälleleitung abweichen zu müssen.
Eine weitere Herausforderung war die Wassermenge und Qualität. Die Leitung hatte eine bemerkenswerte Kapazität von bis zu 20.000 m³ pro Tag (≈20 Millionen Liter), was für eine antike Stadt enorme Mengen sind. Damit öffentliche Brunnen und Thermen konstant versorgt blieben, musste der Quellzufluss zuverlässig sein. Die gewählten Eifelquellen waren karstisch geprägt und schütteten ganzjährig genügend Wasser. Allerdings führte das harte Kalkwasser zu Kalkausfällungen in der Leitung. Im Laufe von fast 180 Betriebsjahren bildeten sich im Inneren bis zu 30–40 cm dicke Kalksinter-Schichten. Diese Ablagerungen verengten zwar den Querschnitt, beeinträchtigten aber den Durchfluss kaum, da die Leitung anfangs überdimensioniert gebaut war. Interessanterweise hatte das Kalkwasser einen positiven Nebeneffekt: Es überzog die im Kölner Stadtgebiet verwendeten Bleirohre mit einer dichten Kalkschicht und verhinderte so, dass sich giftiges Blei im Trinkwasser löste. Den Römern war die Gesundheitsgefahr durch Blei offenbar bewusst, und das Eifelwasser „neutralisierte“ die Rohre quasi automatisch. Zudem bevorzugte man geschmacklich das vollmundigere harte Wasser gegenüber weichem, das als „fad“ galt. Die Wahl der Eifelquellen zeugt somit auch von einem hohen Anspruch an die Wasserqualität.
Ein innovatives Konstruktionsdetail war die bereits erwähnte Sollbruchstelle zwischen Gewölbe und Rinne. Diese durchdachte Maßnahme verhinderte Kaskadenschäden: Wenn etwa ein Baum wurzelnd das Gewölbe einstürzen ließ, blieb die Rinne unbeschädigt und konnte repariert werden, ohne dass der gesamte Leitungsabschnitt neu gebaut werden musste. Überhaupt legten die Römer großen Wert auf Wartungsfreundlichkeit. Zahlreiche Einstiegsschächte und offene Kontrollbecken (insbesondere an Zusammenflüssen mehrerer Quellstränge) erlaubten es, Probleme schnell zu erkennen. Das Wartungspersonal (oft als Leitungswärter oder Aquarii bezeichnet) inspizierte regelmäßig die Trasse und säuberte den Kanal von Ablagerungen. Die kontinuierliche Pflege war ein organisatorischer Kraftakt für sich: Man nimmt an, dass mehrere regionale Kanalmeistereien eingerichtet waren, die abschnittsweise für Reinigung und Reparaturen zuständig waren. Angesichts der langen Betriebszeit von rund 180 Jahren kann man diese administrative Leistung nicht hoch genug einschätzen.
Zu den Herausforderungen zählten freilich auch unvorhersehbare Ereignisse. So deuten Untersuchungen darauf hin, dass die Eifelwasserleitung während ihrer Nutzung durch ein Erdbeben beschädigt wurde – aber die Römer konnten sie offenbar erfolgreich reparieren. Erst um 260 n. Chr. kam das Aus: Bei Einfällen der Franken wurde die Zuleitung nach Köln zerstört, und angesichts der Krisenzeit unterblieb ein Wiederaufbau. Damit ging eine der größten technischen Leistungen nördlich der Alpen für lange Zeit verloren. Die Römer hatten mit der Eifelwasserleitung jedoch Maßstäbe gesetzt. Ihre Ingenieurskunst und organisatorische Meisterschaft bei Planung, Bau und Unterhalt dieses Aquädukts waren so hochentwickelt, dass ähnliche Projekte erst wieder in der industrialisierten Neuzeit vergleichbar zuverlässig umgesetzt werden konnten.
Fertigstellung, Betrieb und Wartung
Nach Fertigstellung aller Teilstücke wurde die Gesamtleitung in Betrieb genommen. Dabei achtete man auf eine sorgsame Inbetriebnahme: Zunächst ließ man langsam Wasser einströmen, damit der opus-signinum-Putz sich vollsaugen konnte. Wie beschrieben, streute man Holzasche ins erste Wasser, um eventuell verbleibende Haarrisse abzudichten. Sobald der Kanal dicht war, erhöhte man die Durchflussmenge. Schließlich erreichte das frische Eifelwasser Köln – vermutlich floss es in ein Verteilerbecken (castellum aquae) in der Stadt, von wo es weiter in öffentliche Brunnen, Bäder und Haushalte geleitet wurde. Die konstante Neigung sorgte dafür, dass das Wasser in angemessener Geschwindigkeit (ca. 1–2 m/Sekunde) strömte, ohne die Wände zu beschädigen. Überschüssiges Wasser konnte man über Überläufe oder Ablässe abzweigen.
Im Betrieb erwies sich die Eifelwasserleitung als relativ wartungsarm, was ihrer soliden Bauweise zu verdanken war. Dennoch war eine regelmäßige Reinigung nötig, vor allem um die Kalkablagerungen im Zaum zu halten. Die in die Decke integrierten Schächte erlaubten es den Leitungswärtern, in den Kanal hinabzusteigen. Dort schabten sie Ablagerungen ab und entfernten Unrat, der eventuell eingedrungen war. An den Absetzbecken konnte man sedimentierten Schlamm austragen. Wahrscheinlich gab es einen festen Turnus für Inspektionen, etwa jährlich oder halbjährlich, je nach Bedarf. Die administrative Organisation sorgte dafür, dass Personal, Werkzeuge (z. B. Kratzeisen, Eimer) und möglicherweise Ersatzmaterial (Mörtel für Ausbesserungen) verfügbar waren. In der Tat hat die Leitung mindestens 190 Jahre ununterbrochen funktioniert – eine beeindruckende Zuverlässigkeit.
Im Jahr 260 n. Chr. jedoch erlitt das Bauwerk sein Ende: Bei einem germanischen Überfall auf Köln wurde die Zuleitung beschädigt oder zerstört, und die römischen Behörden sahen von einer Reparatur ab. Die Provinzhauptstadt musste auf ihre ältere, weniger ergiebige Wasserversorgung aus dem Umland zurückgreifen. Die Römer hatten die Eifelwasserleitung aufgegeben. In der Folge verfiel das Bauwerk langsam: Ohne ständige Wasserströmung setzte sich mehr Sediment ab und Teile trockneten aus. Bald überwucherte die Vegetation die Trasse. Dennoch blieben viele Abschnitte überraschend gut erhalten – teils geschützt durch ihre Erdüberdeckung. Im Mittelalter erkannte man den Wert des Materials: Man brach die nicht mehr genutzte Leitung als Steinbruch ab, um die gewonnenen Steine und den Kalksinter (den sogenannten Eifelmarmor) für neue Bauten zu verwenden. So finden sich z. B. in den romanischen Kirchen Kölns sowie im Kloster Maria Laach Säulen aus poliertem Kalksinter der Eifelwasserleitung. Auch Bruchsteine der Leitung wurden verbaut – etwa im Hexenturm und der Stadtmauer von Rheinbach. Diese Wiederverwendung rettete zwar das Material, ließ aber die Wasserleitung als solche verschwinden.
Heute können wir dank archäologischer Forschungen den Ablauf von Planung bis Betrieb der Eifelwasserleitung gut nachvollziehen. Die Römer hinterließen mit diesem Aquädukt ein funktionales Erbe, das die Versorgung einer Großstadt sicherstellte und dabei ingenieurstechnisch Maßstäbe setzte.
Archäologische Zeugnisse in der Region
Obwohl die Eifelwasserleitung großteils unterirdisch verlief und nach der Antike stark abgetragen wurde, sind noch zahlreiche Reste und Befunde erhalten, die Einblick in das Bauwerk geben. Ein bemerkenswertes Beispiel ist der Klausbrunnen bei Mechernich-Kallmuth, einer der Quellfassungsorte: Dort wurde eine römische Brunnenstube ausgegraben und originalgetreu rekonstruiert. Ein Schutzbau mit Schautafeln verdeutlicht, wie die Römer die Quellen in gemauerten Kammern einfingen und das Wasser in die Leitung einspeisten. Auch am Grünen Pütz, der Hauptquelle bei Nettersheim, ist die Einlaufstelle der Leitung heute durch Informationstafeln markiert; ein kleines Museum vor Ort erläutert die Technik.
Entlang der Trasse finden sich immer wieder offene Aufschlüsse. Bei Swisttal-Buschhoven nahe Bonn etwa ist ein Segment der Leitung freigelegt und überdacht, sodass Besucher den Querschnitt des Kanals im Profil studieren können. Man erkennt dort die U-förmige Rinne, den rötlichen Innenputz und Reste des Gewölbes. Ein ähnliches Originalstück ist im Ort Buschhoven öffentlich ausgestellt (siehe Bild oben), was die Dimensionen und Baumaterialien eindrucksvoll vor Augen führt. Bei Ausgrabungen im Zuge von Bauarbeiten kamen zudem immer wieder Teilstücke zutage – so 2018 in Hürth-Hermülheim, wo ein Stück der Eifelwasserleitung mit gut erhaltenem Gewölbe freigelegt wurde.
Von den Aquäduktbrücken sind heute meist nur spärliche Überreste sichtbar. Die große Swistbachbrücke ist nur noch durch einen langen Hügelzug und Fundamente im Boden nachweisbar. Besser erforscht ist die kleinere Aquäduktbrücke von Vussem: Hier wurden in den 1950er Jahren mehrere Pfeiler ausgegraben und danach ein Teil der Brücke **rekonstruiert】. Heute sieht man vor Ort zwei nachgebaute Steinbögen in Originalhöhe, die einen Eindruck von der einstigen Konstruktion vermitteln. Informationstafeln erklären die Bauweise und machen deutlich, wie der Kanal auf den Bögen verlief. Vussem ist Station 13 des Römerkanal-Wanderwegs, eines 116 km langen Themenwanderwegs, der seit 1988 die ehemalige Trasse von Nettersheim bis Köln begleitet. Entlang dieses Weges sind zahlreiche Relikte ausgeschildert – von Gräben, Mauerresten, Brunnenschächten bis zu beispielsweise einem erhaltenen Revisionsschacht in Mechernich und einem Abschnitt in Rheinbach.
Schließlich gibt es in Museen Funde im Zusammenhang mit dem Römerkanal. Im Aquädukt- und Brunnenmuseum in Rheinbach werden Stücke des Kalksinters (Eifelmarmor) und originale Leitungsteile präsentiert. Sie zeigen, wie der Sinter innen wie Marmor glänzt und dass sogar Rinnspuren des fließenden Wassers sichtbar sind. Auch Werkzeuge, wie römische Vermessungsgeräte (Groma-Rekonstruktionen) oder Nachbildungen eines Chorobates, illustrieren die technische Seite. Diese Funde und Rekonstruktionen vor Ort machen die Eifelwasserleitung heute wieder erlebbar. Sie bestätigen die schriftlosen, aber ausgrabungsgestützten Erkenntnisse über Planung, Bau und Betrieb dieses antiken Infrastrukturprojekts und lassen erahnen, welcher Aufwand dahinterstand.
Insgesamt ist die römische Eifelwasserleitung ein hervorragendes Beispiel dafür, wie technischer Erfindergeist, präzise Organisation und harte Arbeit im Imperium Romanum zusammenwirkten, um selbst in den Provinzen Großbauten zu verwirklichen. Sie zeugt von der Weitsicht der römischen Ingenieure, die bereits vor 2000 Jahren dauerhaft nutzbare Wasserverbindungen schufen – ein Erbe, das bis heute fasziniert.